Klinische Kompetenzentwicklung

Inhalte dieser Seite – von unten nach oben
Teil 5: Entwicklung professionellen Verhaltens
Teil 4: Preceptor-Education-Programm – Was ist das genau?
Teil 3: Reflexion – Typen und reflexive Elemente
Teil 2:Theoretisches Wissen und die Anwendung in der Praxis
Teil 1: Ressourcen zur klinischen Kompetenzentwicklung

Teil 5: Entwicklung professionellen Verhaltens [1]

Professionelles Verhalten zu erlernen gehört zum Ausbildungsschwerpunkt in der Physiotherapie in Kanada. Kolleginnen der Western University entwickelten auf Basis bereits beschriebener Schlüsselverhaltensweisen für Professionelle aus der Physiotherapie ein student self-evaluation tool – The Comprehensive Professional Behavior Development Log. Dieses Instrument wird den Studierenden bereits im ersten Ausbildungsjahr vorgestellt. Ziel ist es,

  • die Lernenden für professionellen Verhalten zu sensibilisieren,
  • ein Bewusstsein für die Wichtigkeit professionellen Verhaltens zu vermitteln und zu entwickeln sowie
  • die Studierenden dazu zu befähigen, sich selbst im Verlaufe des Studiums und in ihrer zukünftigen beruflichen Tätigkeit ihr eigenes professionelles Verhalten zu überprüfen, zu reflektieren und zu entwickeln.

Um die Selbst-Evaluation von Kompetenzen zu ermöglichen, wurden aus Schlüsselbereichen zu professionellem Verhalten Kriterien formuliert, nach Themen sortiert und in tabellarischer Form für die Lernenden zur Verfügung gestellt. So können die Studierenden kritisch ihr eigenes Verhalten in seiner Konsistenz und Kontinuität einschätzen und pflegen.

Beispiel: Einhaltung legaler und ethischer Kodes hier.

vollständige Unterlagen zum Thema (mit freundlicher Genemigung der AutorInnen) als zip
Inhalt einzelnd
The Comprehensive Professional Behavior Development Log PDF
PT Refelctions on Professional Socialisation PDF
Understandig the Professional Socialisation of Canada PDF
Item generation and Pilot testing of CPBDL PDF
Student´s instruction doc.

[1] siehe auch: Essential Competency Profil for Physiotherapists in Canada 2009

 

Teil 4: Preceptor – Education – Program

 Das Preceptor-Education-Program (PEP) ist ein Online-Lern-Programm, zur Unterstützung und Vorbereitung auf die klinische Praxis/Praktika in Ontario/Kanada. Es wird von Lehrkräften, klinischen PraxisanleiterInnen und Studierenden genutzt.

Akteure verschiedener Gesundheitsprofessionen formalisierten wissenschaftliche Grundlagen, die auf umfassende Überprüfungen derzeit bestehender Praktikaprogramme und auf Befragung von Lehrkräften, PraxisanleiterInnen und Studierenden beruhen. Aus/Mit diesem Basiswissen erarbeiteten sie eine flexible und innovative Lern-Plattform, die als Module aufbereitet wurden. Studierende, Lehrkräfte und PraxisanleiterInnen profitieren gleichermaßen von diesem kostenlosen Angebot.

Die acht angebotenen Lernmodule können von jeder Gesundheitsdisziplin verwendet werden. Einige Inhalte richten sich mehr an Studierenden/Lernenden, andere mehr an die Lehrkräfte/PraxisanleitetInnen. Gleichwohl/Jedoch ist der Großteil der Module für beide von Nutzen. Studierende/Lernende und Lehrkräfte/PraxisanleitetInnen können sogar gemeinsam festlegen, welche der Module sie (…in den ersten Wochen des Praktikums…) zusammen bearbeiten wollen. Sie können sich jederzeit in das Programm einloggen und ein oder mehrere Module vervollständigen. Die Bearbeitung eines jeden Moduls dauert ungefähr 30 Minuten. Jedes Modul beinhaltet einen thematischen Schwerpunkt, der zu Beginn mit dazugehörenden Learning Outcomes vorgestellt und verdeutlicht wird. Innerhalb des Moduls finden sich praktische Tipps, Videos, Links und Fachartikel, die schnell zu finden sind, das Lernen fördern und Inhalte weiter vertiefen. Die Modulinhalte können bei Bedarf ausgedruckt werden. Nach erfolgreicher Beantwortung einiger Quizfragen kann jedes Modul mit einem Zertifikat abgeschlossen werden.

Modulthemen sind:

  1. Einführung, Rollen und Erwartungen
  2. Entwicklung von Lernzielen
  3. Feedback
  4. Verständnis und Förderung klinischer Entscheidungen
  5. Förderung einer reflektierten Praxis
  6. Umgang mit Konflikten
  7. Evaluation
  8. peer coaching

Aufbau der Module
In den Klammern sind Beispiele aus dem Modul 3 – Feedback

Jedes Modul wird durch eine kurze Vorstellung und dem Hintergrund des Modulthemas eingeführt (Intruduction). Im nächsten Schritt wird aufgezeigt, was es in diesem Modul zu lernen gibt und es werden Lernziele für die Lerneinheit beschrieben (Learning Outcomes). Alle relevanten Begriffe werden definiert (What is Feedback?), ggf. von anderen Fachbegriffen abgegrenzt (The Difference Between Feedback and Evaluation) sowie deren Funktion beschrieben (Function of Feedback). Im Folgenden wird der Bezug des Themas zum aktuellen Forschungsfeld hergestellt und die Relevanz für den Lernenden durch konkrete Beispiele aufgezeigt. Die aktiven Lerneinheiten beginnen meist mit den Zusammentragen des Vorwissens und dem Austausch bisheriger positiver und negativer Erfahrungen. In den folgenden Lernaktivitäten werden Beispiele angeboten, deren Besonderheiten reflektiert und hervorgehoben werden. Im Lernprozess werden die Lernenden immer wieder mit Fragen angeregt, sich in Situationen hinein zu fühlen (Wie würdest Du … ?). Jede Lerneinheit schließt mit einer stichpunktartigen Zusammenfassung ab.

Teil 3: Reflexion

Beitrag vom 25.10.14
So, what is reflection? Es gibt dafür viele Definitionen. Darüber werde ich nicht berichten. Nur, dass unsere Reflexionen als internale Prozesse zu verstehen sind, die uns ein besseres Verständnis unserer Erfahrungen ermöglichen. Ebenso unterstützt sie uns, über unsere eigene Perspektiven hinauszusehen und ggf. unser Verhalten zu ändern oder unser Denken zu vertiefen. Aber ich möchte nun lieber kurz über das schreiben, was mir in einigen Texten** besonders aufgefallen ist und was ich in den bisherigen Seminaren entdecken konnte.

Schön** unterscheidet 3 Typen von Reflexion:
  1. Reflection-in-action
  2. Reflection-on-action
  3. Reflection-for-action

Für die klinische Kompetenzentwicklung sind alle drei essentiell. Was bedeuten sie nun?

Reflection-in-action = passiert, während die/der Lernende mitten in einer Aktivität ist. Die/der Lernende ist mit unerwarteten Konditionen bzw. Geschehnissen konfrontiert und muss über ihren/seinen aktuellen Handlungsplan neu nachdenken und anders handeln, als sie/er es sich vorgenommen hat.
Ein Beipsiel aus der Praxis wäre: Mitten in der Behandlung fängt der Patient an zu weinen – passiert tatsächlich manchmal – die/der Lernende, anfänglich überfordert, unterbricht die Behandlung und legt spontan die Hand auf die Schulter des Patienten. Der Patient beruhigt sich nach kurzer Zeit wieder.

Reflection-on-action = passiert, wenn die/der Lernende die Aktion kompett beendet hat und eine Rückschau auf die Handlung unternimmt.
Beispiel: Die/der Lernende
kann über die letzte Lerngruppe berichten, dass diese ihr/ihm sehr geholfen hat, endlich das schwierige Thema zu verstehen, an dem sie/er sich die Tage zuvor unendlich angemüht hat.

Reflection-for-action = Die/der Lernende beginnt über Situationen nachzudenken, bevor sie/er mit der Handlungssituation konfrontiert wird und beginnt vorausschauend zu planen, um das Outcome so gut als geht zu optimieren.
Beispiel: Die/der Lernende realisiert, dass die letzte Behandlung an der Patientin nicht professionell verlaufen ist. Sie/er erkennt Behandlungsfehler, die überdacht und neu bewertet werden müssen, um in der kommenden Bahndlung besser auf die Probleme der Patientin eingehen zu können.

Also: Reflexion ist nicht nur die Handlung zu stoppen und Probleme so zu lösen, wie wir es immer gemacht haben. Es ist auch viel mehr, als nur unsere Gedanke und Gefühle zu erklären. Reflexion fordert uns ständig auf unsere Erfahrungen zu hinterfragen, primär, was wir denken und wie wir es denken.

Reflexive Fragen, die uns unterstützen können sind zum Beispiel:

  • Was denkst Du ist in dieser Situation passiert?
  • Welche Perspektive hat den Studierenden zu diesen Handlungen gebracht?
  • Wie kann man so eine Situation anders herangehen?
  • Was vermutet die Lehrkraft hinter diesem Verhalten und wie kann sie es in der Zukunft berücksichtigen?
Mezirow*** bringt drei weitere reflexive Elemente ein.
  1. Inhalt der Reflexion
  2. Reflexionsprozess
  3. Voraussetzungen zur Reflexion

Mezirow´s*** reflexive Elemente beschreiben Dimensionen, die bewusste Denkprozesse miteinander verflechten. Was bedeuten sie?

Inhalt der Reflexion = Die/der Lernende untersucht das Problem, um es besser zu verstehen.
Beispiel: Eine Ganganalyse ist sehr komplex. Die Lernende sieht an dem Gangbild der Patientin die Abweichungen nicht. Sie sieht sich ihre Unterlagen mit den 8 Gangphasen, ihren Besonderheiten und den muskulären Beteiligungen an. Sie bespricht ihr Wissen in einer Lerngruppe. Durch die Wiederholung des Stoffes kann sie nun die verschiedenen Phasen besser differenzieren, eine Schwachstelle bei der Patientin feststellen und die Ursache zu behandeln.

Reflexionsprozess = die/der Lernende beginnt zu erkunden, welche Strategien und Prozesse Einfluss auf Erfahrungen und Problemlösesituationen haben.
Beispiel:
Der Studierende arbeitet in einer Gruppen, um sich über Behandlungen von Patienten mit Multipler Sklerose auszutauschen. Dabei stellt er fest, wie unterschiedlich andere Studierende über die Verläufe berichten und auf wieviele Art und Weisen dieses Krankheitsbild behandelt weden kann.

Voraussetzungen zur Reflexion = Die/der Lernende erkennt ihre/seine eigenen Anschauungen, Werte, Glaubenssätze und Befangenheiten, beginnt sie zu erklären und/oder zu kritisieren – versteht sie damit besser. Sie/er fängt an nach weiteren Perspektiven und/oder alternativen Erklärungen zu suchen.
Beispiel: Die/der Lernende denkt über ihre/seine Lernfortschritte nach. Sie/er ist nicht damit zufrieden. Sie/er versucht Ursachen dafür zu ergründen und findet, dass das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ein unsicheres Gefühl hervorruft.

Die drei Typen der Reflexion von Schön und die drei reflexiven Ebenen von Mezirow kommen jedem von uns vertraut und irgendwie logisch vor, doch kann es für die eine oder andere Lehrkraft durchaus eine Hilfe sein, Reflexion in dieser Form auseinandergepflückt zu kennen. Vor diesem Hintergrundwissen lassen sich Aussagen der Lernenden über Erfahrungen besser einschätzen und eigene Fragen können viel gezielter an die Lernenden gerichtet werden.

In den Seminaren des Masterprogramms für Physiotherapie ist Reflexion  ein wichtiger Unterrichtsbestandteil. Die Lehrkräfte nahmen im Verlauf des Unterrichts etliche Male (durch Beispiele, Fälle, Patientenerfahungen, Unterrichtsgespräche, Fragerunden) Bezug auf die Praxis. Ob sie das bewusst in Anlehnung an die Theorie der Reflexion machen, muss hier offen bleiben. Darüber kann ja mal jemand seine Diplomarbeit schreiben 😉

Literatur

** Schön DA. Educating the Reflective Practioner. San Francisco, CA: Jossey-Bass Publishers; 1987
** Schön DA. The Reflective Practitioner: How Professionals Think in Action. New York, NY: Basic Books; 1983
*** Mezirow J. Fostering Critical Reflexion in Adulthood: A Guide to Transformative and Emancipatory Learning. San Francisco, CA: Jossey-Bass Publishers; 1990.

Teil 2: Theoretisches Wissen und die Anwendung in der Praxis

Beitrag vom 24.10.14
In der universitären Praxis erlebe ich ständig verschiedenste Lehraktivitäten, um theoretisches Wissen in die Praxis zu lenken. Dazu gehören:

  • PhysiotherapeutInnen (PT) aus der Praxis übernehmen Themen im Unterricht und geben mit Begleitung der Lehrkräfte Seminare. Ihre Autentizität bewirkt in den Lerngruppen eine lebendige Interaktion. Ihre BeispielpatientInnen kommen aus dem Leben und werden meistens mit eigenen fachlichen, sowie persönlichen Erfahrungen verknüpft. Die professionelle Lehrkraft, die natürlich den Unterricht mitbegleitet, leistet den Transfer in Stoffgebiete, die bei den Lernenden vorausgesetzt werden können und stellt vertiefende oder provozierende Fragen.
  • Lehrkräfte nutzen eine ganze Reihe von Videos. Diese Videos entstehen all zu oft durch die Lehrkräfte selbst. Um die Produktion der Videos zu erleichtern, kann die School of Physio Therapy auf eine ziemlich gute Technik zurückgreifen. Nicht nur, dass es die technische Ausstattung gibt – es gibt auch hilfsbereite TechnikerInnen dazu 🙂
  • In einer One-Minute-Presentation bekommen die Lernenden die Gelegenheit theoretisches Wissen an ihre Mitstudierenden zu vermitteln. Ihr werdet jetzt vielleicht denken, dass das ja kein Transfer in die Praxis ist. Doch das ist es! PTs sind angehalten (und als Professionelle sogar dazu verpflichtet). Bei der kurzen-knackigen Präsentation lernen sie etwas aktiv zu erklären. Sie müssen in der Lage sein Hintergründe für ihr Tun patientengerecht zu erkären. Darin geht es um das WAS sie mit ihren PatientInnen WARUM machen.
  • Ein weiteres Beispiel für den Transfer in die Praxis ist das Arbeiten in Lerngruppen. Ach, werdet Ihr wieder denken, wo ist die Praxis? Die ist in der Reflexion! Diese findet in einigen Kursen schriftlich im Anschluss an die Gruppenarbeit statt. Hier sollen nicht nur alle neuen theoretischen Inhalte reflektiert werden, sondern im Besonderen die Arbeit in der Gruppe, das Entdecken und Bewältigen von Lernschwierigkeiten, das Zusammenwachsen uvam. Die Lehrkraft sammelt die verschriftlichten Reflexionen ein und kann, wenn die/der Lernende Schwierigkeiten hat, sehr gezielt helfen. Diese Übungen dienen
    – der Schulung Stimmungen anderer Menschen wahrzunehmen und darauf adäquat zu reagieren,
    – dem Arbeiten im Team – was im kanadischen Gesundheitssystem absolut erforderlich ist – zu lernen und
    – dem Wahrnehmen seiner selbst, um zu lernen mit seinen eigenen Affekten umzugehen und sicher noch einigem mehr ….
  • Auch PatientInnen kommen in die Uni. Hierüber schreibe ich später genaueres – Akquise, Organisation etc.
  • Auch zu den Praktikas schreibe ich die Tage was.

Teil 1: Ressourcen zur klinischen Kompetenzentwicklung

Beitrag vom 22.10.14
Die wichtigste Ressource zur klinischen Kompetenzentwicklung in der Physiotherapie ist die Reflexion. In der Ausbildung der PTs und vieler anderen Gesundheitsberufe sicher auch ( – ich hab natürlich nicht alle Curricula durchgesehen!) ist es von besonderer Bedeutung den Wert der Reflexion in der klinischen Praxis und in der Entwicklung der eigenen Profession zu erkennen. Die Lehrkräfte gehen davon aus, Studien unterstützen dies, dass Reflexion zu kritischem Denken und damit zu einem reflektierten, klinischen Handeln befähigt. Um die Lernprozess des Reflektierens zu erleichtern unterstützen die Lehrkräfte die Lernenden durch gezielte und effektive Fragen.

Aber eins nach dem anderen, denn
klinische Kompetenzentwicklung ist ein sehr komplexes Thema
und ich versuche Euch möglichst viele Ausschnitte aufzuzeigen,
die mit den Links nach Wunsch vertieft werden können.

Die Ausbildung Physiotherapie in Kanada lehnt sich an die in The American Physical Therapy Association entwickelten Core Values. Diese beschreiben…

 … Abstract Concepts Essential to Professional Development in Physical Therapy.

Kernwerte

  • Rechenschaft
  • Uneigennützigkeit
  • Fürsorge und Mitgefühl
  • Spitzenleistung
  • Integrität
  • Persönliche Pflicht
  • Soziale Verantwortung
Essentielle affektive
Verhaltensweisen
von PhysiotherapeutInnen

  • Kulturelle Kompetenz
  • Interpersonelle Kompetenz
  • Berufsethik
  • Kommunikative Kompetenz
  • Führungskompetenz
  • Selbsteinschätzung
  • Klinische Beurteilung
  • Long Live Learning

Hier geht es um abstrakte Konzepte, die ein Verständnis von Professionalität enthalten sollen. Besonders ist, dass diese Kernwerte für Professionalität als Erfordernis und Grundvoraussetzung qualitativer medizinischer Betreuung anzusehen sind. Die Kernwerte finden sich ebenso in der Schulung und Entwicklung der Reflexionsfähigkeit der Lernenden wieder. Ich komme an anderer Stelle auf die Rolle und Vielfalt der Reflexion in klinischen Lernkontexten zurück – siehe Punkt 3 oben.